Fachagentur Nachwachsende RohstoffeEin Projektträger des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft

 

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Klimaneutrale Quartiersentwicklung und Vergaberecht: Was wann wie ausschreiben?

Holger Weiß im Interview über Vergabeverfahren zur nachhaltigen kommunalen Wärmeversorgung


Städte und Gemeinden stehen vor großem Handlungsbedarf im Bereich der Wärmeversorgung. Fossile Brennstoffe wie Erdgas müssen dringend reduziert werden – die Zukunft gehört erneuerbaren Wärmeenergieträgern. Dabei gilt es schon bei Planung und Ausschreibung neuer Versorgungsmodelle die richtigen Weichen zu stellen. Welche Optionen Kommunen offenstehen und was bei Ausschreibungen beachtet werden sollte, erläutert Vergabeexperte Dr. Holger Weiß im Interview.

Herr Dr. Weiß, inwiefern ist Wärmeversorgung eine kommunale Aufgabe?

Holger Weiß: Wärmeversorgung ist eine „freiwillige Aufgabe“ der Städte und Gemeinden. Wärmenetze können als rein private Versorgungseinrichtung errichtet und betrieben werden. Dann beschränkt sich die Rolle der Gemeinde darauf, dem Versorgungsunternehmen durch Gestattungsvertrag das Recht zur Nutzung kommunaler Wege und Grundstücke einzuräumen. Die Klimaschutzziele und das seit dem 01.01.2024 geltende Wärmeplanungsgesetz (WPG) setzen die Kommunen aber unter erheblichen Handlungsdruck: Da die Wärmeversorgung bis 2045 – in manchen Bundesländern schon früher – vollständig treibhausgasneutral sein muss, bleibt keine Zeit um abzuwarten, ob „der Markt“ zur Errichtung der gemäß WPG geplanten Wärmenetze führen wird. Will eine Gemeinde die Errichtung von Wärmenetzen initialisieren, muss sie sich zumindest in gewissem Maße engagieren. Dabei stehen ihr verschiedene Geschäftsmodelle zur Verfügung, die mit einem unterschiedlichen Maß an Verantwortung einhergehen: Von der vollständigen Eigenerfüllung („Make all“) über den Einkauf bestimmter Leistungen („Make and buy“) bis hin zur Auslagerung der Aufgabenerfüllung auf einen privaten Partner durch Vergabe einer Konzession („Buy all“).

Verschiedene Grade des kommunalen Engagements sowie Geschäftsmodelle der Wärmeversorgung, Bild: © RA Dr. Holger Weiß, LL.M. 2023

Was ist ein Wärmekonzessionsvertrag?

Holger Weiß: Die Vergabe einer Wärmekonzession ist die geringste Form des kommunalen Engagements bei der Errichtung von Wärmenetzen. Mit der Vergabe einer Konzession sorgt die Gemeinde dafür, dass ein Unternehmen – der Konzessionär – ein Wärmenetz nach gewissen Vorgaben errichtet und betreibt. Die Versorgungspflicht des Konzessionärs wird im Konzessionsvertrag festgeschrieben. Im Gegenzug räumt die Gemeinde dem Konzessionär die benötigen Wege- und Grundstücksnutzungsrechte ein. Ein Anschluss- und Benutzungszwang ist auch bei einem Konzessionsmodell grundsätzlich möglich. Dies setzt aber starke Einflussmöglichkeiten der Gemeinde auf den Konzessionär voraus und führt zu einer kommunalen Gewährleistungsverantwortung.

Die geringste Form des kommunalen Engagements im Bereich der Wärmeversorgung ist das Konzessionsmodell. Bild: © RA Dr. Holger Weiß, LL.M. 2023

Wie kann ein Konzessionsmodell umgesetzt werden, wenn die „Bundesförderung effiziente Wärmenetze“ (BEW) in Anspruch genommen werden soll?

Holger Weiß: Die BEW-Förderung ist in Modulen organisiert und primär an die Wärmeversorgungsunternehmen adressiert. In der Praxis wird akzeptiert, dass die Gemeinden bei der Quartiersentwicklung das Modul 1 (Machbarkeitsstudie) selbst beantragen. Das Modul 2 (Realisierung) muss jedoch zwingend vom Wärmeversorgungsunternehmen beantragt werden. Wenn eine Gemeinde ein Konzessionsmodell umsetzen will, stellt sich daher die Frage, ob sie selbst noch das Modul 1 beantragt und auf dieser Grundlage den Konzessionär auswählt (gestuftes Vorgehen), oder ob sie direkt den Konzessionär auswählt und diesem die Beantragung von Modul 1 und 2 überlässt (gesamthaftes Vorgehen). Beides ist prinzipiell möglich.

Was sind die Vorteile eines gestuften oder gesamthaften Vorgehens bei Konzessionsausschreibungen?

Holger Weiß: Wenn die Gemeinde die Machbarkeitsstudie selbst beauftragt, hat sie einen größeren Einfluss auf die Wärmenetzplanung, verfügt über eine bessere Entscheidungsgrundlage und kann im Rahmen der Konzessionsausschreibung konkrete Preise abfragen. Andererseits muss sie mehrere Vergabeverfahren durchführen, trägt das Risiko eines negativen Ergebnisses der Machbarkeitsstudie und läuft Gefahr, dass an der Konzession interessierte Unternehmen die von Dritten erstellte Wärmenetzplanung nicht akzeptieren. Spiegelbildlich ist bei einem gesamthaften Vorgehen der Einfluss auf die Wärmenetzplanung tendenziell geringer. Es können keine konkreten Preise, sondern nur die Methodik zur Festlegung der Wärmepreise und eine Obergrenze als „Abbruch-Kriterium“ vereinbart werden. Dafür muss nur ein Vergabeverfahren durchgeführt werden. Das Risiko eines negativen Ergebnisses der Machbarkeitsstudie trägt der Konzessionär. Und die Planung liegt in der Hand des Unternehmens, das später auch die Betreiberverantwortung übernimmt.

Wie sollte die Kommune vorgehen, wenn sie bei der Umsetzung der Nahwärmeversorgung ein weitgehendes Mitspracherecht haben will?

Holger Weiß: Wenn es der Kommune um einen möglichst großen Einfluss geht, sollte sie hinterfragen, ob das Konzessionsmodell der richtige Ansatz ist. In einem Konzessionsvertrag können zwar Mitspracherechte vereinbart und gesichert werden. Das stößt aber an Grenzen und kann zu Interessenkonflikten führen. Mehr kommunaler Einfluss ist möglich, wenn sich die Gemeinde (auch) selbst unternehmerisch engagiert, indem sie z. B. allein oder gemeinsam mit einem Partnerunternehmen eine Wärmegesellschaft gründet. Der konkrete Grad kommunalen Einflusses und kommunaler (Mit-)Verantwortung lässt sich über das Geschäftsmodell der Gesellschaft und die gesellschaftsrechtliche Gestaltung einstellen. Bei alledem muss man verschiedene rechtliche Aspekte im Blick haben (Förderrecht, Beihilfenrecht, Kommunalrecht, Vergaberecht etc.). Das ist aber beherrschbar.

Das Interview führte Dr. Hermann Hansen, Leiter der Fachinformation Bioenergie bei der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR)

Siehe auch: Weiß, Holger: „Klimaneutrale Quartiersentwicklung und Vergaberecht: Was wann wie ausschreiben?“, Vortrag im Rahmen des Seminars „Erneuerbare Wärme richtig ausschreiben – Beschaffung und Vergabe kommunaler Wärmeversorgung“ der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe am 21.09.2023: https://veranstaltungen.fnr.de/gruene-waerme/rueckblick/2023/erneuerbare-waerme-richtig-ausschreiben-beschaffung-und-vergabe-kommunaler-waermeversorgung


Weitere Informationen

Als Projektträger des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ist die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) seit Oktober 2003 auch für die Fachinformation im Bereich Bioenergie zuständig. Sie richtet sich gleichermaßen an Kommunen, Betreiber, Planer und potenzielle Investoren in Bioenergie-Anlagen wie auch an Verbraucher, die sich mit dem Gedanken tragen, erneuerbare Energie aus Biomasse zu erzeugen und / oder selbst zu nutzen.

Seminarreihe „Grüne Wärme für Dörfer & Städte: Planung, Förderung & Potenziale“

Themenportale Bioenergie der FNR

 

Fachlicher Ansprechpartner:
Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V.
Dr. Hermann Hansen

Tel.: +49 3843 6930-116
Mail: h.hansen@fnr.de

News 2024-14

Dr. Holger Weiß, LL.M., ist Partner der Kanzlei W2K und Lehrbeauftragter für Infrastrukturrecht an der Bauhaus-Universität Weimar. Sein fachlicher Fokus liegt auf dem öffentlichen Wirtschaftsrecht. Vergabeverfahren im Zuge kommunaler Gebietsentwicklungen sind ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit., Foto: W2K/Holger Weiß

Dr. Holger Weiß, LL.M., ist Partner der Kanzlei W2K und Lehrbeauftragter für Infrastrukturrecht an der Bauhaus-Universität Weimar. Sein fachlicher Fokus liegt auf dem öffentlichen Wirtschaftsrecht. Vergabeverfahren im Zuge kommunaler Gebietsentwicklungen sind ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit., Foto: W2K/Holger Weiß