Fachagentur Nachwachsende RohstoffeEin Projektträger des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft

 

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Wildnis: Sehnsuchtsziel oder Streitobjekt?

Analyse deckt überraschende Fakten zu Wildnisgebieten auf

Die Einrichtung von Wildnisgebieten hat für die Mehrzahl der Deutschen einen hohen Stellenwert. Das belegen die Ergebnisse des Forschungsvorhabens „Wildnis in Deutschland – gesellschaftliche Analysen und Akzeptanz eines kontrovers diskutierten Konzeptes“. Das Vorhaben wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) aus dem Förderprogramm Nachwachsende Rohstoffe unterstützt.

Ziel des Forschungsvorhabens war eine umfassende Analyse der gesellschaftlichen Sicht auf das Thema Wildnis in Deutschland. Dabei wurde untersucht, ob das Wildnis-Konzept der Bundesregierung mit den gesellschaftlichen Erwartungen an den Wald, mit der nachhaltigen Waldbewirtschaftung sowie mit den Klima- und Energiewende-Zielen Deutschlands und der EU vereinbar ist. Zu klären war zudem, ob die Wildnispläne Zustimmung in der Bevölkerung finden.

Während die Forst- und Holzwirtschaft der Entwicklung weiterer Wälder zu Wildnisgebieten – Prozessschutzkonzepte sind bereits Bestandteil der nachhaltigen Waldbewirtschaftung – aus wirtschaftlichen Erwägungen und aus Gründen des Berufsethos eher zurückhaltend gegenübersteht, befürwortet ein Großteil der Bevölkerung die Wildnispläne.

Mehrheit empfindet Wildnisgebiete als positiv

In der repräsentativen Befragung stellt Wildnis für 90 Prozent der Teilnehmer einen Gegenpol zur immer stärker technisierten Welt dar. Zwei Drittel der Befragten antworteten, dass sie ein „gutes Gefühl“ bei dem Gedanken an Wildnis empfinden. Dass die Einrichtung von Wildnisgebieten vor allem dazu dient, den Menschen ein gutes Gefühl zu vermitteln, bejahten immerhin 43 Prozent der Befragten. 30 Prozent hielten diese Aussage für nicht glaubhaft, 27 Prozent machten dazu keine Angaben. Als sehr glaubwürdig empfanden die meisten die von Umwelt- und Naturschutzverbänden vertretene, wissenschaftlich allerdings umstrittene These zur Begründung von Wildnisgebieten mit einem besseren Natur- und Artenschutz. Uneinigkeit herrschte bei den Befragten darüber, ob ein holzwirtschaftlich genutzter Wald oder ein sich selbst überlassender Wald beim Klimaschutz Vorteile hat.

Menschlicher Blick auf die Natur folgt keiner wissenschaftlichen Logik

Die Befragung verdeutlichte, dass ein Großteil der Bevölkerung ein romantisiertes und anthropomorphes, also vermenschlichtes Bild von der Natur hat. 60 Prozent der Befragten sahen Bäume als soziale Wesen und schrieben ihnen menschliche Eigenschaften wie Denk- und Kommunikationsvermögen oder Schmerzempfinden zu. Nur 20 Prozent der Befragten widersprachen dieser Aussage.

Für die Verfasser der Analyse liegt in der Erkenntnis, dass offenkundig „der Blick vieler Menschen auf Natur keiner naturwissenschaftlichen Logik folgt“, der Schlüssel zur Veränderung der Argumentation und Diskussion zum Thema Natur und Wildnis.

Schlussfolgerungen für Forstwirtschaft und Verbände

Der Forst- und Holzwirtschaft empfehlen die Forscher, die breite Zustimmung der Bevölkerung zu Wildnisgebieten und das politisch angestrebte 5-Prozent-Ziel konstruktiv zu nutzen, um mitzuentscheiden, welche Flächen aus der Bewirtschaftung entnommen werden sollten, welche Maßnahmen der finanziellen Kompensation dafür notwendig werden und wie die künftige Nutzung auf den verbleibenden 95 Prozent der Waldfläche gestaltet werden sollte.

Die Empfehlung an die Umwelt- und Naturschutzverbände lautet, die Kommunikation der Vorteile von Wildnis auf die vom Sachverständigenrat für Umweltfragen schon 2002 gegebene Begründung zu stützen, dass Wildnis als „Teil eines guten Lebens“ in einer Gesellschaft notwendig sei. Diese auf dem Gefühl einer großen Mehrheit fußende Begründung solle aktiv vertreten werden, statt weiterhin Begründungen ins Feld zu führen, die aus wissenschaftlicher Sicht umstritten sind.

Auf diese Weise könne die Kontroverse zwischen Naturschutz und Forstwirtschaft beendet und ein Ausgleich zwischen den Interessen der unterschiedlichen Akteure erreicht werden.

Umgesetzt wurde das Forschungsvorhaben durch die Unternehmensberatung und private Forschungseinrichtung Knauf Consulting GbR. Die Analyse der Bielefelder Forscher basiert auf Interviews mit Meinungsbildnern und Experten zum Thema Wildnis, einer schriftlichen Befragung kommunaler Vertreter und einer repräsentativen Befragung in der Bevölkerung.

Hintergrund:

Die Bundesregierung schrieb 2007 in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt das Ziel fest, auf zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands die Natur ihren eigenen Entwicklungsgesetzen zu überlassen und dafür unter anderem 5 Prozent der Waldfläche aus der Nutzung zu nehmen.

Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) definiert Wildnisgebiete im Sinne der Nationalen Biodiversitätsstrategie als „ausreichend große, (weitgehend) unzerschnittene, nutzungsfreie Gebiete, die dazu dienen, einen vom Menschen unbeeinflussten Ablauf natürlicher Prozesse dauerhaft zu gewährleisten.“

Die Wildnis-Definition des BfN wird inzwischen weitestgehend mit der Naturschutzstrategie des Prozessschutzes gleichgesetzt. Prozessschutz im engeren Sinne meint das Nichteingreifen in die natürliche Entwicklung von Ökosystemen. Im weiteren Sinn bedeutet Prozessschutz die Integration von Naturschutzbelangen in die umweltfreundliche Nutzung von Kulturlandschaften. Das ermöglicht die Ausweisung von Wildnisgebieten auch in nachhaltig genutzten Wäldern.

Der Wissenschaftliche Beirat Waldpolitik und der Wissenschaftliche Beirat Biodiversität und Genetische Ressourcen beim BMEL empfahlen in ihrer Stellungnahme „Wege zu einem effizienten Waldnaturschutz in Deutschland“ im Januar 2020 ebenso das konsequente „Umsetzen des Prinzips Natur Natur sein lassen in Prozessschutzgebieten auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und unter intensiver Kommunikation mit der Bevölkerung.

In der repräsentativen Befragung zum Forschungsprojekt „WIND“ setzten die meisten Menschen Wildnis mit Natur gleich, die sich selbst überlassen bleibt. Wildnis bedeutet für die Befragten perfekte und ideale Natur, ist Sinnbild für ein gutes und freies Leben, Sehnsuchtsort.

Dieses Ergebnis schließt an ein Gutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen aus dem Jahr 2002 an. Die Sachverständigen sahen Wildnis am überzeugendsten eudämonistisch begründet: Wildnis erfülle die Sehnsucht der Menschen in einer immer stärker von Menschen geprägten Natur.

Die FNR ist seit 1993 als Projektträger des BMEL für das Förderprogramm Nachwachsende Rohstoffe aktiv. Sie unterstützt außerdem Forschungsthemen in den Bereichen nachhaltige Forstwirtschaft und innovative Holzverwendung.

Projekt:
Wildnis in Deutschland – gesellschaftliche Erwartungen und Akzeptanz eines kontrovers diskutierten Konzeptes (WIND); 10/2018-03/2020
https://www.fnr.de/index.php?id=11150&fkz=22020717
Knauf Consulting – Prof. Dr. Helen Knauf und Dr. Marcus Knauf GbR

Fachlicher Ansprechpartner:
Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V.
Mathias Sauritz
Tel.:        +49 3843 6930-148
Mail:   m.sauritz(bei)fnr.de

Pressekontakt:
Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V.
Martina Plothe
Tel.:        +49 3843 6930-311
Mail:       m.plothe(bei)fnr.de

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Das Foto ist für redaktionelle Zwecke ebenfalls honorarfrei nutzbar. Quellenangabe: FNR/ Siria Wildermann

PM 2021-32

Ein naturnaher Laubmischwald mit viel Totholz kommt den Wildnisvorstellungen vieler Menschen schon sehr nah. Foto: FNR/ Siria Wildermann

Ein naturnaher Laubmischwald mit viel Totholz kommt den Wildnisvorstellungen vieler Menschen schon sehr nah. Foto: FNR/ Siria Wildermann

Umfrageergebnis: In der Bevölkerung ist umstritten, ob Wildnis oder Wirtschaftswald für den Klimaschutz besser sind. Grafik: Knauf Consulting

Umfrageergebnis: In der Bevölkerung ist umstritten, ob Wildnis oder Wirtschaftswald für den Klimaschutz besser sind. Grafik: Knauf Consulting